Zentrale Demonstration zum Jahrestag am Sonntag, 2. Juli
2023, um 13 Uhr auf den Hermannplatz in Berlin.
Köln, 28. Juni 2023. Mord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verjähren nicht! Am 2. Juli jährt sich ein zentraler alevitischer Gedenktag zum 30. Mal: Dem Brandanschlag von Sivas/Türkei fallen insgesamt 35 Menschen zum Opfer, mehrheitlich Alevit*innen, das jüngste Opfer ist zwölf Jahre alt. Das Ereignis markiert einen Wendepunkt in der alevitischen Bewegung. Lange wurde der alevitische Glaube im Verborgenen gelebt. Nun treten Alevit*innen an die Öffentlichkeit. Diese Entwicklung führte unter anderem 1994 zur Gründung des Bund der Alevitischen Jugendlichen in Deutschland (BDAJ) e.V.
Junge Alevit*innen in Deutschland fordern anlässlich des 30. Jahrestages des Brandanschlages in Sivas eine (Wieder-)Aufnahme des 2012 eingestellten Strafverfahrens: In Europa und Deutschland lebende Täter müssen juristisch verfolgt und zur Rechenschaft gezogen werden!
Ãœber den Brandanschlag von Sivas
In Sivas fand im Sommer 1993 ein alevitisches Kulturfestival zu Ehren des Dichters Pir Sultan Abdal statt. Zahlreiche Dichter*innen, Künstler*innen, Schriftsteller*innen sowie intellektuelle und gelehrte Personen reisten hierzu in die zentralanatolische Provinz. Nach Äußerungen des türkischen Schriftstellers Aziz Nesin, er halte einen Teil der türkischen Bevölkerung für „feige und dumm“, da sie nicht den Mut hätten, für Demokratie einzutreten, versammelte sich am 2. Juli eine religiös motivierte und aufgepeitschte Menschenmenge (die Zahl wird auf 20.000 geschätzt) vor dem Madımak-Hotel, in dem zahlreiche alevitische Gäste logierten. Aus der Menge werden Brandsätze auf das aus Holz errichtete Gebäude geworfen, das schnell Feuer fängt. Einsatzkräfte von Polizei, Militär und Feuerwehr greifen erst nach Stunden ein, während die tödlichen Ereignisse live im Staatsfernsehen übertragen werden. 33 Menschen vorwiegend alevitischen Glaubens und zwei Mitarbeitende des Hotels kommen bei diesem Anschlag grausam ums Leben.
Täter wurden nicht zur Rechenschaft gezogen
Zahlreichen verurteilten Tätern gelang in den 1990er Jahren die Flucht nach Europa, unter anderem nach Deutschland^1. Der Brandanschlag in Sivas wurde im Nachhinein wiederholt beschönigt und verharmlost, als handle es sich nicht um einen gezielt rassistisch motivierten Angriff auf Alevit*innen. Das Gerichtsverfahren zog sich über Jahre hin und bei den Angehörigen schwand schließlich die Hoffnung, dass die Täter des Massakers rechtmäßig verurteilt werden. Zu Recht: Nach einem 19 Jahre andauernden Strafverfahren gegen die Drahtzieher und Täter des Massakers wurde das Verfahren 2012 am 27. Verhandlungstag eingestellt. Die von der AKP dominierte türkische Justiz erklärte das Massaker für verjährt. Die Angeklagten wurden von 28 Strafverteidigern vertreten. Alle waren Mitglieder der Adalet ve Kalkınma Partisi (AKP)^2.
Mehrheitlich türkisch-sunnitische Menschen in der Türkei und auch in Deutschland erkennen das Pogrom als solches bis heute nicht an und (re-)produzieren antialevitischen Rassismus. Es folgen keine politischen oder juristischen Konsequenzen.
Unsere Forderungen
- Wir fordern eine (Wieder-)Aufnahme des Strafverfahrens. In Europa und Deutschland lebende Täter müssen juristisch verfolgt und zur Rechenschaft gezogen werden!
- Wir fordern, dass der Gedenktag an das Massaker in Sivas mehr Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit bekommt.
- Wir fordern, dass die Erinnerungskultur in der Migrationsgesellschaft vielfältig gestaltet wird und das jedes Gedenken seinen Raum bekommt.
- Wir fordern, dass Maßnahmen gefördert werden, die zu einer jungen pluralen Erinnerungskultur beitragen, um ein gemeinsames Erinnern von Morgen zu gestalten
Ãœber das Alevitentum
Das Alevitentum ist eine eigenständige und in Deutschland anerkannte Religionsgemeinschaft mit anatolischen Wurzeln. Weltoffenheit, Toleranz und Humanismus sowie das strikte Veto gegen religiösen Fundamentalismus und Nationalismus sind wesentliche Eckpfeiler. In der Türkei gibt es rund 14 Millionen Menschen alevitischen Glaubens. Seit Jahrzehnten kämpfen sie gegen Diskriminierung. In Deutschland leben ungefähr 800.000 Alevit*innen.
Ãœber den Bund der Alevitischen Jugendlichen in Deutschland (BDAJ) e.V.
Der Bund der Alevitischen Jugendlichen in Deutschland (BDAJ) e.V. versteht sich als alevitisch-demokratischer Arbeiter*innenjugendverband und vertritt als eigenständige Jugendorganisation der Alevitischen Gemeinde Deutschland K.d.ö.R. die Interessen von rund 78.000 Kindern und Jugendlichen in 130 Mitgliedsvereinen und elf Bundesländern. Der BDAJ betätigt sich in den Bereichen Interessenvertretung, außerschulische Bildungsarbeit und Freizeitgestaltung. Besonders die Motivation der Jugendlichen zu kritischem Denken und Handeln sowie zur demokratischen Mitgestaltung aller gesellschaftlichen Lebensbereiche spielt in der Arbeit des Kinder- und Jugendverbandes eine wichtige Rolle.
Ziel ist es, dass junge alevitische Menschen sich als gleichberechtigten Teil der deutschen Gesellschaft wahrnehmen und an dieser in den verschiedensten Bereichen partizipieren. Der BDAJ leistet aktive Antirassismusarbeit und tritt jeder Ideologie der Ungleichwertigkeit entschieden entgegen. Der Sitz der Bundesgeschäftsstelle des Bund der Alevitischen Jugendlichen in Deutschland ist in Köln.
Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an:
Özge Erdoğan, Geschäftsführerin Bund der Alevitischen Jugendlichen in Deutschland e.V.
E-Mail: oezge.erdogan@bdaj.de, Telefon: 0221-94 98 56-42, Mobil: 01520 5222836