Fight racism!

Ausgangslage: Warum wir immer noch Rassismus bekämpfen müssen!

 

Wir befinden uns aktuell immer noch in einer Phase des gesellschaftlichen Rechtsrucks. Rechte und neonazistische Einstellungen sind wieder verstärkt in der Gesellschaft zu beobachten. Es reihen sich die Schlagzeilen von rassistischen Mobs, die wie 2018 in Chemnitz oder Köthen, Hetzjagd auf Migrant_innen machten oder journalistische Veröffentlichungen über einen NSU 2.0 in Hessen. 2019 ist die rechtspopulistische Partei, die einen rechtsradikalen Flügel hat, Alternative für Deutschland (AfD) in jedem Landtag vertreten, weitergehend stellen sie in Brandendurg und Sachsen die zweitstärkste Kraft dar. Was bedeutet das alles und wie hängt es zusammen?
Auch über 70 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus, sind rassistische Einstellungsmerkmale Teil einer gesellschaftlichen Realität und Normalität, in Deutschland. Es ist mit AfD Politikern wie Björn Höcke möglich geworden, offen rassistische und antisemitische Äußerungen zu tätigen, ohne mit Folgen rechnen zu müssen. Die Grenze des Sagbaren wird von Rechten zugunsten von Rechten weiter verrückt. Dies lässt sich am Beispiel Bayern verdeutlichen: in einem Bundesland, in dem eine fast schon rechtsradikale Partei, einer CSU den Rang versucht abzulaufen, führt es dazu, dass die CSU versucht ihre eigene Linie weiter nach rechts zu verrücken, um ihre Wähler_innen nicht an die AfD zu verlieren. Dies zeigt sich in neuen rassistischen Gesetzgebungen, wie dem Integrationsgesetz, das versucht Migrant_innen nach einem „christlich-jüdischen Leitbild“ zu integrieren. In der weiteren Betrachtung des Gesetzestextes fällt auf, dass mit Integration, Assimilation gemeint ist. Migrant_innen werden nicht als Potential für eine vielfältige Gesellschaft wahrgenommen, sondern als fehlerhaft sozialisierte Menschen, die in Deutschland erneut zivilisiert werden müssen. Auch das 2018 in Bayern eingeführte Polizeiaufgabengesetz wird vor allem Migrant_innen und politisch Andersdenkende weiter kriminalisieren.
Diese Verschiebung ins weitere Rechtsaußen zeigt sich nicht nur in den unterschiedlichen Gesetzesänderungen, auch der mediale Diskurs gegenüber Migrant_innen und Geflüchteten verändert sich, durch eine CDU/CSU und AfD immens. Im Herbst 2015 prägten noch Bilder von ankommenden Geflüchteten, an diversen Bahnhöfen in Deutschland, die Nachrichten. Sie wurden winkend und klatschend empfangen. Doch schon 2017 skandiert Joachim Hermann: „Eine Situation wie 2015 darf sich nicht wiederholen und wird sich nicht wiederholen. Dafür stehe ich“[1]. Mit diesen Worten bewarb sich Innenminister Hermann 2017 als Spitzenkandidat für die Bundestagswahl, bei seinen Wähler_innen. Es wird deutlich: Deutschland braucht keine AfD, die CDU/CSU ist rechts genug. Dennoch ist nun eine AfD im politischen Diskurs präsent. Nicht nur die Parteienlandschaft und damit neue Gesetze verschieben sich nach rechts. Rechtsoffene und Rechtsradikale finden sich 2019 in einem Pool wieder, in dem sie ungehemmt ihre rechte Propaganda nach außen tragen können. Dies reicht von klassischen Neonazis, neuen Rechten der Identitären Bewegung, bis zum_r rassistischen alten Mitbürger_in die sich in der U-Bahn über „die Ausländer“ aufregt und echauffiert.
Ein gesellschaftliches Klima wird etabliert, in dem menschenverachtendes, diskriminierendes Verhalten Teil einer Normalität wird, derer wir als BDAJ nicht Teil sein wollen. Wir stellen uns klar gegen jeden Rassismus und fordern die Politik auf, sich mit diesem Problem tiefergehend auseinanderzusetzen. Als migrantische wahrgenommene Jugendliche ist Rassismus tagtäglich ein Problem für uns und wir werden dieses nicht über uns ergehen lassen. Als Teil dieser Gesellschaft und aus unserer, in ihren Grundfesten antirassistischen Religion heraus, sehen wir uns in der Pflicht gegen diskriminierendes Verhalten vorzugehen, uns dagegen zu positionieren, sowie Strategien der Aufarbeitung und Veränderung zu finden, die diese Dynamiken unmöglich machen. Wir kämpfen für eine Welt, in der es ein solidarisches Miteinander gibt und es egal ist wo du herkommst, was deine „Wurzeln“ sind oder welche Hautfarbe man hat! Rassismus begegnet uns auf verschiedenen Ebenen, im Folgenden wird versucht die einzelnen Ebenen zu listen und Kritik daran zu formulieren, ohne jedoch Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.

Alltagsrassismus

Formulierungen wie „Du sprichst aber gut Deutsch“, oder die verwunderten Blicke, wenn man als Migrant_in sagt, dass man ein Gymnasium besucht, erleben wir alltäglich. „Du Kanacke“ oder „Scheiß Ausländer“ sind Beschimpfungen, die das Problem von Alltagsrassismus sichtbar machen. Egal ob auf der Straße, von Fremden, oder in Streitsituationen mit Bekannten, immer wieder kommt es zu solchen Vorfällen. Hier sehen wir eindeutig, dass Grenzen überschritten werden, denn solche Aussagen sind klar rassistisch. Vor allem werden solche Sprüche oft auf die leichte Schulter genommen, obwohl es diskriminierendes Verhalten ist und Spuren bei den betroffenen Personen hinterlässt. Manchmal tritt Alltagsrassismus auch viel banaler auf. So kann die Frage „Wo kommst du her?“ als Gesprächseinstieg denkbar taktlos sein. Zwei „Weiße“ würden sich diese Frage auch nicht auf einer Party in der Arbeit oder sonst wo stellen. Man kann hierbei ein wiederkehrendes Muster erkennen, vor allem wenn sich das Gegenüber nach einer Antwort wie „aus Deutschland“ oder „aus München“ nicht zufriedengibt.

  • Wir fordern: Mehr Aufklärungsarbeit und Sensibilisierung für die Thematik an Schulen und Ausbildungsstätten zu Rassismus!
  • Wir fordern: Mehr Bildungsformate, die migrantische Jugendliche ermutigen, mit solchen Situationen proaktiv umzugehen, also lernen wie man mit solchen Aussagen umgeht.

 

Institutioneller Rassismus

Institutioneller Rassismus tritt in unterschiedlicher Art und Weiße auf. So lässt dieser sich am Wohnungsmarkt, in rassistischen Gesetzgebungen, aber auch in Institutionen wie der Polizei wiederfinden.

Als institutioneller Rassismus werden solche Formen von Rassismen bezeichnet, die durch Institutionen einer Gesellschaft praktiziert werden. Die Institutionen können durch ihre Normen und Gesetze, aber auch durch ihre interne Logik rassistisch funktionieren. Dabei ist wichtig, dass auch wenn eine individuelle Person in einer Institution nicht rassistisch ist, trotzdem die Institution, weil sie in ihrer Logik so funktioniert rassistisch sein kann. So grenzen sich institutionelle Rassismen vom Alltagsrassismus ab, da dieser individuelle Einstellungsmerkmale betrifft, die nicht weniger zu kritisieren sind, jedoch schlichtweg anders funktionieren. Ein Beispiel: auch wenn ein Lehrer an einer Schule Rassismus falsch findet und sich dagegen engagiert, sind Schüler_innen mit Migrationshintergrund im Bildungssystem strukturell benachteiligt.

Diskriminierende Gesetze

Trotz der eigenen Darstellung als Staat, der seit dem Nationalsozialismus, Rassismus überwunden hat, lassen sich schon bei der Betrachtung von Gesetzen Mängel aufweisen. Es wird deutlich: die Aufarbeitung ist sicherlich nicht abgeschlossen und institutioneller Rassismus allgegenwärtig.

Der Begriff „Rasse“, wenn er sich auf Menschen bezieht, steht ganz bewusst in Anführungszeichen, weil es „Rassen“ nicht gibt. Die Idee, dass es menschliche „Rassen“ gibt, kam das erste Mal im 16. Jahrhundert auf. Damals wurde Hautfarbe als Merkmal verwendet, um Menschen einzuteilen. Bis ins 20. Jahrhundert wurde versucht das Konzept von „Rassen“ genetisch nachzuweisen, ohne Erfolg. Biologisch gibt es keine „Rassen“, dennoch wird in den Sozialwissenschaften noch oft mit dem Begriff „Rasse“ gearbeitet. Dieser meint dann aber nicht das biologistische Konzept, sondern wird verwandt um eine soziale zugeschriebene Position in der Gesellschaft zu beschreiben. Im Deutschen wird dann oft von Race gesprochen um dem Begriff der „Rasse“ auszuweichen und zu zeigen, dass er reflektiert verwendet wird.

Der Artikel drei des Grundgesetzes lautet [3]:
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
Unabhängig davon, dass mit der Nennung des Begriffs „Rasse“ der Gesetzestext eine tatsächliche Existenz von Rassen unterstellt, die er mit einer fundierten Rassismuskritik ablehnen würde, benennt der Artikel grundlegende Diskriminierungsverbote. Dennoch zeigt sich, gerade auf institutioneller Ebene, dass Rassismus ein strukturelles Problem ist und nicht nur etwas mit negativen Erfahrungen, durch einzelne Personen, im Alltag zu tun hat. Sprache weist auch auf Grade der Sensibilität zu einem Thema hin, ähnlich wie geschlechtergerechte Sprache das tut. Wir fordern deshalb:

=> Die Änderung des 3 Artikels des Grundgesetzes in eine Formulierung, die auf den Begriff Rasse verzichten kann wie zum Beispiel: „Kein Mensch darf rassistisch, sexistisch, aufgrund von Herkunft, Sprache, Heimat, Sexualität, Religion oder politischer Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden“

Am 31. Juli 2016 ist das neue Integrationsgesetz in Kraft getreten. Es enthält u.a. Veränderungen bei der Wohnsitzauflage, den Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge und Kürzungen beim Existenzminimum. Alle von dem Gesetz Betroffenen werden auf eine vage umrissene „deutsche Wertegemeinschaft“, und eine „Leitkultur“, verpflichtet. Das Gesetz unterscheidet „Ausländer“, „Halb-Ausländer“ und „Viertel-Ausländer“ von „Bio-Deutschen“ und betrifft alle Menschen mit mindestens einem Großelternteil, welches „nicht Deutsch“ ist, das heißt, dass er oder sie seit spätestens 1955 in Deutschland lebt. Bei Zuwiderhandlungen im Sinne des neuen Gesetzes können Betroffene zu zwangsweisen Integrationsmaßnahmen verpflichtet und bei deren Verweigerung mit Geldbußen, bis zu 50.000€, belegt werden. In diesen integrierenden Maßnahmen werden Menschen, die sich dem Leitbild der paternalisierenden CDU/CSU nicht unterordnen wollen gezwungen, eine von ihnen nicht gewählte, konstruierte Kultur anzunehmen. Der Rassismus der CDU/CSU in diesem Gesetz zeigt sich, indem er Menschen unterstellt, unzivilisiert zu sein, die ursprünglichste Form des Rassismus. Der einzige Unterschied ist, dass es heute keine Schwarzen, oder Menschen aus dem Orient sind, die als Barbaren in der Kolonialzeit dargestellt werden, sondern Migrant_innen, oder Menschen mit Migrationshintergrund denen vermeintlich beigebracht werden muss, wie man sich in Deutschland zu verhalten hat. Egal ob man in Deutschland geboren ist, oder schon die Eltern hier geboren sind, wird man, wenn eine Migrationsgeschichte in der Familie hat, mit diesem Gesetz als fremd markiert [4].

  • Wir fordern: Die Abschaffung des Integrationsgesetzes!
  • Wir betonen: Wir sind hier geboren und aufgewachsen und auch wenn das manchen Leuten nicht gefallen mag, wir sind Teil dieser Gesellschaft, wir brauchen niemanden der_die uns erklärt wie man in Deutschland lebt.

 

Rassismus auf dem Wohnungsmarkt

Auf dem Wohnungsmarkt äußert sich eine andere Seite von institutionellem Rassismus. Menschen, die eine Migrationsgeschichte aufweisen, die nach außen hin seh- oder hörbar ist, werden häufig benachteiligt. So werden für einen Herrn Yilmaz beispielsweise, im Vergleich zu Herrn Müller, entweder vermehrt Absagen verteilt, oder aber man bekommt auf Bewerbungen gar keine Antwort. Außerdem zahlen Menschen mit Migrationshintergrund für kleinere Wohnflächen, oder für geringere Qualität mehr, als Deutsche. Zu rassistischer Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt kommt es, weil sogenannte Gatekeeper (, das sind Menschen die Wohnungen verteilen, also Vermieter_innen, Hausverwaltungen, Makler_innen oder Beschäftigte von Wohnungsbaugenossenschaften) bei knapperem Wohnraum und steigenden Mieten mehr Bewerbungen auf Wohnungen bekommen. Durch die größere Auswahl müssen striktere, vermeintlich objektive Auswahlkriterien getroffen werden, die rassistische Diskriminierung verbergen. Also hat ein_e Vermieter_in zum Beispiel die Auswahl aus vielen Leuten und entscheidet sich „zufällig“ eher für Deutsche, weil sie ihrer Meinung nach aus anderen Kriterien als Herkunft besser für die Wohnung geeignet ist.
Rassismus auf dem Wohnungsmarkt kann auch ganz offen gezeigt werden. Dann wird zum Beispiel ausdrücklich nicht an „Ausländer“ vermietet, oder aber verdeckt, indem vorgeschobene Gründe genannt werden, die dann zu einer Absage führen. Nicht nur bei der Bewerbung auf dem Wohnungsmarkt kann es zu Rassismus kommen. Auch im bestehenden Mietverhältnis werden Menschen schnell diskriminiert, weil sich oft ungerechtfertigte Beschwerden über Mieter_innen mit Migrationshintergrund häufen, was zu einer Abmahnung oder Mobbing führen kann [5].

  • Wir fordern neue Strategien, mit denen Rassismus auf dem Wohnungsmarkt eingedämmt wird, wie zum Beispiel eine Quotenregelung mit der Gate_keeper dazu gezwungen werden, Wohnungen an Migrant_innen zu vermieten
  • Wir fordern weitere Verstaatlichung von Wohnraum und die Förderung des Kommunalen Wohnungsbaus, da es bei Sozialwohnungen bereits eine Quotenregelung gibt und diese Diskriminierung mindert 

 

Racial Profiling & rassistisches Handeln staatlicher Gewalt

Racial Profiling bezeichnet das Phänomen, wenn die Polizeiarbeit von rassistischen Denkmustern beeinflusst wird. Also als Beispiel, wenn Leute die Nicht-Deutsche sind, oder aufgrund ihres Erscheinungsbildes als Nicht-Deutsche kategorisiert werden, häufiger von der Polizei kontrolliert werden, beziehungsweise ihnen aufgrund ihrer Herkunft, Hautfarbe, Haarfarbe eine Täterrolle unterstellt wird.

rassistische Polizeigewalt am Beispiel Oury Jalloh
Auch in Deutschland kommt es immer wieder zu rassistischer Polizeigewalt. Das hängt auch mit Racial Profiling zusammen. Die Polizei sieht sich oft im Recht physisch zu handeln, weil sie Leuten, die sie als „Ausländer“ wahrnehmen eine Täterrolle zusprechen. Migrant_innen müssen ihrer Wahrnehmung nach Drogendealer_innen, Dieb_innen, also Kriminelle sein. Das Schlimme bei Polizeigewalt ist, dass sich Polizist_innen in der Regel gegenseitig decken und so die Täter_innen sich nicht vor Gericht verantwortet müssen. In vielen Fällen, in denen die Polizei angezeigt wird, ist mit einer Gegenanzeige durch Polizist_innen zu rechnen.
Ein sehr prägnantes Beispiel war der Fall Oury Jalloh. Am 7. Januar 2005 verbrannte der Asylbewerber Oury Jalloh, in einer Zelle des Polizeireviers Dessau-Roßlau, gefesselt an Händen und Füßen. Er soll sich, laut Aussagen der Polizei, mit einem Feuerzeug selbst verbrannt haben. Auf den Tatortfotos und -videos war jedoch keines zu sehen und zu seiner Festnahme soll er laut Polizeiprotokoll auch keines bei sich geführt haben. Nach seinem Tod wurde ein Feuerzeug in einer Brandschutttüte des Landeskriminalamtes gefunden, das jedoch eingebrannte Textilspuren aufwies, die nicht vom Tatort stammten. Außerdem hatte, nach offizieller Darstellung der Polizei, Oury Jalloh es geschafft, trotz gefesselter Arme und Beine, seine Matratze aufzureißen, um an das Innere, leicht entzündbare Material zu gelangen. Im Anschluss hätte er dann seinen Kopf in die Flammen gehalten und dadurch einen inhalativen Hitzeschock erlitten. Sowohl ein privates als auch ein offizielles Gutachten haben ergeben dass Jalloh nicht ohne eine erheblich Menge Brandbeschleuniger ein derart großes Feuer gelegt haben kann, dass er in so kurzer Zeit an einem inhalativen Hitzeschock verstarb. 

Jeder in unserem Verband kennt das Phänomen: als Person mit dunklen Haaren, wird man ständig von der Polizei kontrolliert. Im Austausch mit weißen Freunden stellt man fest, dass die Menschen mit einem dem „deutschen Phänotypen“ entsprechenden Erscheinungsbild, zum Teil noch nie kontrolliert wurden oder wenn sehr selten. Nicht-Deutsche, oder solche Menschen, die in Augen der Polizei als Nicht-Deutsche, aufgrund von äußerlichen Merkmalen gelten, werden vor allem an Bahnhöfen klar benachteiligt. Im besten Falle ist das nervig und mit einer zeitintensiven Kontrolle verbunden. Leider kann diese auch anders enden [6]. Das extremste Beispiel ist Oury Jalloh, der sich nach einer Polizeikontrolle in einer Gefängniszelle laut Aussage der Polizei, selbstverbrannt haben soll. Mehrere Gutachten bewiesen, dass dies unmöglich war, da er gefesselt war und keine Materialien zu Brandlegung bei sich trug [7][8].
Sich gegen diese Kontrollen zu beschweren ist nicht leicht und zum Teil beängstigend, so wird die Staatsgewalt als übermächtig wahrgenommen, der man sich nicht einfach in den Weg stellen darf, oder sie kritisieren kann. Auch kommt es bei Kontrollen immer wieder zu rassistischer Polizeigewalt. Wenn sich Menschen juristisch dagegen wehren wollen, erhalten sie durch Polizist_innen Gegenanzeigen wie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Dann steht Wort gegen Wort und vor Gericht zählt das Wort eines_r Polizeibeamt_in sehr viel mehr, zumal sich Polizist_innen in der Regel gegenseitig decken.
Das Risiko weitere Probleme zu erhalten ist sehr hoch, wenn man sich gegen diese Form des Alltagsrassismus wehren möchte. Sollte es zu einer Dienstaufsichtsbeschwerde kommen, wird diese intern bei der Polizei geprüft. Falls diese nicht erfolgreich sein sollte, ist der nächste Schritt eine Klage vor dem Verwaltungsgericht. Dieser bürokratische Akt macht es den Betroffenen nicht leichter, sich gegen diese Zustände zur Wehr zu setzen.

  • Wir fordern: Mehr Sensibilisierungsarbeit bei der Polizei bezüglich racial profiling
  • Wir fordern: Eine unabhängige Institution, die die Polizei überwacht und Beschwerden gegen sie prüft, interne Kontrollen werden keine Täter finden
  • Wir fordern: Die Aufklärung des Mordes an Oury Jalloh

 

NSU-Komplex – rechter Terror, rechte Kontinuitäten

In Gedenken an:
Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat, Michèle Kiesewetter

NSU-Komplex
Der NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) war eine neonazistische Terrorgruppe in Deutschland, die 1999 gegründet wurde, mit dem Ziel Menschen, aus rassistischen Motiven, zu töten. Die Mitglieder hießen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. Im Zeitraum von 2000 und 2007 ermordeten sie neun Migrant_innen und eine Polizistin. Sie verübten 43 Mordversuche, drei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle. Das Trio konnte jedoch nicht ohne Unterstützung arbeiten, man schätzt das Unterstützerumfeld auf circa 100-200 Personen, darunter V-Leute (Menschen, die für den Verfassungsschutz arbeiten und eigentlich rechten Terror verhindern sollen) und Funktionäre rechtsradikaler Parteien. Der NSU enttarnte sich 2011 selbst, als die beiden Männer des Trios, tot in ihrem verbrannten Wohnmobil aufgefunden wurden und Zschäpe Bekennervideos versandte, sowie ihre Wohnung in Zwickau abbrannte. Bis zu diesem Tag wurden die Täter der Morde nicht in der rechtsradikalen Szene gesucht, da die Polizei davon aus gegangen war, wenn Migrant_innen ermordet werden es mit Migrant_innen zu tun haben müsse. Es wurde den Opfern unterstellt, eigentliche Täter zu sein. So wurden bei Befragungen den Opferfamilien unterstellt, eine kriminelle Vergangenheit ihrer Angehörigen zu verschweigen, oder nicht mitbekommen zu haben. Auch die Presse griff die Morde damals als „Döner-Morde“ auf und verfestigte die Behauptung, dass es sich um eine Mordserie im migrantischen Milieu handeln müsse. Nach der Enttarnung des NSU vernichtete der Verfassungsschutz ermittlungsrelevante Akten, so ist mit Sicherheit zu sagen, dass der Verfassungsschutz auf irgendeine Art und Weise verwickelt war. Ein Verfassungsschutzmitarbeiter Andreas Temme, war während des Mordes an Halit Yozgat am 6. April 2006 im selben Internetcafé anwesend. Einige Mitarbeiter waren im nächsten Umfeld des Trios und haben sie zum Teil bei ihrem Unterfangen unterstützt, oder einen Unterschlupf organisiert. Es gab historisch mehrere Möglichkeiten den NSU zu verhindern. Die Polizei und der Verfassungsschutz haben viel zu lange nicht eingegriffen, weil sie auf dem rechten Auge blind sind. Deshalb ist es wichtig nicht vom NSU-Trio zu sprechen, es waren nicht drei Menschen, die eine Mordserie gestartet haben, sondern es war ein Netzwerk von vielen, ihnen Wohlgesonnenen, die sie unterstützt haben. Die Vernetzung reichte dabei bis in behördliche, staatliche Strukturen und ist bis heute nicht aufgearbeitet worden.

Am 6. Mai 2013 begann vor dem Oberlandesgericht in München der sogenannte NSU-Prozess gegen die Mittäterin Beate Zschäpe und als vier helfenden Angeklagten Ralf Wohlleben, André Eminger, Holger Gerlach und Carsten Schultze. Am 11. Juli 2018 wurde mit dem Prozessende deutlich: der NSU wurde in dem Prozess nicht verhandelt, als das was er war, vor allem nicht zu dritt. So wurde die These der vereinzelten Gruppe verfestigt und damit eine weitere Auseinandersetzung mit rechten und neonazistischen Strukturen in Deutschland unmöglich gemacht. Die Bundesrepublik hat den Menschen mit Migrationshintergrund und Migrant_innen die Verpflichtung solche Mordserien unmöglich zu machen. Sie ist als Staat ihrer Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen. Das ist die beängstigendste Ebene von institutionellem Rassismus: einer mordenden, raubenden Gruppe wurde der Weg geebnet und viele die sich daran beteiligt und unterstützt haben, werden ohne eine Strafe davonkommen.
Im Umfeld des NSU waren vor und nach dem Untertauchen einige V-Leute (Menschen, die für den Verfassungsschutz arbeiten) eingesetzt. Bis 1998 war das zum Beispiel Tino Brandt, der früher der Führer des Thüringer Heimatschutzes war. Er war ein Informant für den Thüringer Verfassungsschutz und hat der Gruppe, nach ihrem Untertauchen, Geld für Pässe zukommen lassen. Ein anderer Rechtsradikaler, Thomas Starke, lieferte Mitte der 90er Jahre circa ein Kilo TNT an Uwe Mundlos, um Rohrbomben zu bauen. Auch er war ab 2000 V-Mann. Es gab einige V-Leute, die Kontakte zum NSU pflegten oder ihn unterstützten, das absurdeste Beispiel ist Andreas Temme: Temme war während der Ermordung von Halit Yozgat am Tatort, im Internetcafé, anwesend. Inwieweit Temme direkt an der Tat beteiligt war, oder ob Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt überhaupt am Tatort waren, ist unklar, vor allem weil Temmes Vorgesetzten und die Geheimdienstbehörde ihn schützen. Nach der Selbstenttarnung des NSU vernichtete der Bundes Verfassungsschutz alle Akten, die im Zusammenhang mit dem NSU bestanden. Weitergehend wurden einige weitere Akten über Rechtsradikale in Deutschland vernichtet, so dass nicht nachgewiesen werden kann, an welchen Punkten der die staatliche Behörde die Mordserie hätte verhindern können und wo sie das Trio zum Teil unterstützt haben [9].
Was sendet das für ein Zeichen an Rechtsradikale, die Mordfantasien an Migrant_innen haben? Heute gibt es immer noch knapp 500 Neonazis, die per Strafbefehl gesucht werden, jedoch untergetaucht sind, die Fahndung aber schon länger nicht erfolgreich läuft. Seit 2016 hat die Zahl enorm zugenommen und es muss davon ausgegangen werden, dass die untergetauchten Neonazis, zumindest teilweise, miteinander vernetzt sind [10]. Seit Dezember 2018 verdichten sich die Hinweise auf ein rechtes Netzwerk in der Hessischen Polizei. So hat die NSU-Opfer-Anwältin Seda Başay-Yıldız mehrere Drohbriefe mit rassistischen Beschimpfungen und Morddrohungen gegen ihre Familie erhalten, die mit NSU 2.0 unterschrieben waren [11]. Die Hinweise, dass die Faxe aus Polizeikreisen stammen, verdichten sich. Wir wollen keinen weiteren NSU!

  • Wir fordern: Die lückenlose Aufklärung des NSU-Komplexes: Wir wollen wissen, wer für die Mordserie, die Anschläge und den Terror verantwortlich ist!
  • Wir fordern: Die Entschädigung der Opfer und Hinterbliebenen: Die rassistischen Denkmuster der Polizei verhinderten jahrelang die Aufklärung der Morde und stigmatisierten Hinterbliebene als Kriminelle und Gefährder.
  • Wir fordern: Die verstärkte Fahndung nach möglichen neuen rechten Netzwerken und untergetauchten Neonazis!
  • Wir fordern: Die sofortige Suspendierung von Rechten und Neonazis in der Polizei und Bundeswehr! Solche Menschen sollten keinen Zugang zur Ausbildung an der Waffe bekommen, geschweige denn den Zugang zu den Informationen die die Polizei über Bürger_innen hat!
  • Wir fordern das Verbot von neonazistischen Organisationen und Parteien, die militante, rechte Strukturen fördern, wie die NPD!

 

Flucht und Migrationspolitik

Kann ein Mensch „illegal“ sein? Illegal bedeutet entgegen einer gegenwärtigen Gesetzeslage zu handeln, also wenn ich so und so handle und dies gegen ein geltendes Gesetz verstößt, handelt man illegal. Oft wird umgangssprachlich von Illegalen gesprochen, wenn Menschen ohne gültige Papiere nach Europa einreisen. Menschen die aus den unterschiedlichsten Gründen, sei es vor Krieg, Armut oder weil sie schlichtweg in Europa leben wollen fliehen, werden als Illegale abgestempelt. Wie soll ein Mensch illegal sein, er selbst als kann defacto nicht gesetzeswidrig sein. Erst durch diese Formulierungen und Sprache wird er zu einer Bedrohung gemacht. Ein Mensch kann nicht illegal sein! Jeder Mensch hat Rechte egal ob mit oder ohne gültige Papiere!
Im nächsten Atemzug wird die Frage gestellt ist: Ist Deutschland ein Einwanderungsland? Nach 1945 war Deutschland so weiß und christlich, wie noch nie in seiner Geschichte, jedoch lag dies an Ermordung und Vertreibung. In den 1960/70er Jahren migrierten viele Menschen als Gastarbeiter_innen aus Italien, Spanien, Griechenland, Jugoslawien und der Türkei nach Deutschland. Wie Gäste wurden diese Menschen behandelt und geduldet, jedoch blieben einige von ihnen und veränderten Stadtbilder und deutsche Gesellschaft nachhaltig. Sie sind Teil dieser Gesellschaft geworden und haben einen spannenden Prozess angestoßen. Leider werden Menschen, zum Teil bis heute, paternalistisch oder als Gäste behandelt. Das zeigt sich in der Nichtanerkennung von Schulabschlüssen oder Ausbildungsabschlüssen, die dann in Deutschland nachgemacht werden müssen. Viele Menschen haben nicht die ökonomischen Möglichkeiten und die Zeit diese Abschlüsse nachzuholen. So kann es passieren, dass gelernte Ingenieur_innen klassische Arbeiter_innenberufe ausüben müssen, anstatt in ihrer gelernten Profession zu arbeiten.

  • Wir fordern: Bessere Anerkennung von Abschlüssen aus Herkunftsländern!
  • Wir fordern einen neuen Umgang mit Neuangekommenen wir wollen gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen, keine Gastmentalität verfestigen!

 

Die verschiedenen Diasporas (der Begriff bedeutet Zerstreuung und meint Migrationsprozesse) verändern das Selbstverständnis Europas, Verbindungs- und Grenzräume müssen neu entworfen werden, da europäische und nicht-europäische Räume verwoben werden. Damit beantwortet sich die zunächst gestellte Frage von selbst: von der deutschen Idee, Teil dieser Nation durch Blutszugehörigkeit zu sein, wird ein Prozess angestoßen indem Zugehörigkeit neu ausgehandelt werden muss. Zweite und dritte Generation Nachkommen von Migrant_innen sind keine zum Beispiel Türken mehr, aber auch keine „klassischen Deutschen“, die Zugehörigkeit muss neu verhandelt werden [12].

  • Wir betonen: Zugehörigkeit funktioniert nicht über Blutszugehörigkeit! Der deutsche Raum war schon immer ein Migrationsgebiet!

 

Wie ist politisch die gegenwärtige Situation bezüglich der Migration? Gegenwärtig wird das Mittelmeer zum größten Friedhof der Welt, da Europa einen Flüchtlingsstrom versucht zu stoppen, der nicht gestoppt werden kann. Wenn Menschen flüchten müssen oder wollen, werden sie immer Wege finden dies zu tun. Wenn eine neue Fluchtroute geschlossen ist, öffnet sich eine neue Möglichkeit. Wobei dies nicht das Argument sein sollte Menschen den Zugang zu Europa zu ermöglichen. Jeder Mensch sollte selbst entscheiden können, ob er_sie in Frieden, Freiheit oder wo er_sie Leben möchte.

  • Wir fordern: Bleiberecht für alle Menschen
  • Wir fordern: Eine Grenzöffnung
  • Wir fordern: Seenotrettung im Mittelmeer

 

Seit 2017 gibt es in Deutschland Transitzentren. Hier werden Asylsuchende aus „sicheren Herkunftsstaaten“ untergebracht, um sie so schnell wie möglich in ihre Herkunftsländer abschieben zu können. Die Transitzentren verstoßen, laut zivilgesellschaftlichen Akteuren, gegen die Grundrechte, vor allem beim Zugang zu Schulen und der Gesundheitsversorgung. Menschen aus sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“ werden weitergehend strukturell benachteiligt. So wird ihnen unterstellt aus einem Land zu kommen, das ausreichend Schutz vor politischer Verfolgung bietet. Menschen die hier Asyl suchen, müssen „beweisen“ können, dass sie politisch verfolgt werden. Ein besonderer Fall ist dabei Afghanistan, das zwar nicht als „sicheres Herkunftsland“ gilt, aber von „sicheren Landesteilen“ gesprochen wird und sich im Jahr 2018 die Abschiebungen nach Afghanistan summiert haben [13].

  • Wir fordern: Menschenwürdige Unterkünfte und adäquate Versorgung
  • Wir fordern: Sofortige Schließung der Transitzentren als Abschiebeeinrichtungen
  • Wir fordern die Abschaffung der Kategorie „sicheres Herkunftsland“
  • Wir fordern: Schluss mit Abschiebungen!

 

Rassismus in der migrantischen Community

Rassismus macht auch vor der migrantischen Community nicht halt, nur weil jemand selbst eine Migrationsgeschichte hat, heißt das nicht, dass er_sie frei von Rassismen und Vorurteilen ist. Dabei ist auch hier die volle Bandbreite gegeben: ob gegen Menschen aus einer bestimmten Region, Neuangekommene oder religiöse Minderheiten.

Graue Wölfe – türkische Faschisten in der Diaspora

Graue Wölfe
Graue Wölfe oder Bozkurtlar ist die Bezeichnung für türkische Rechtsradikale, die Anhänger der Partei MHP (Partei der nationalistischen Bewegung) sind. Im Laufe der Zeit fand in der faschistischen Bewegung eine Wandlung vom Laizismus (Trennung von Religion und Staat) zum politischen Islamismus statt. Die „Türkisch-Islamische Synthese“ fand in den 70er Jahren statt und wurde mehr und mehr in die Ideologie eingebettet. Diese Veränderung hatte den Vorteil, dass man nicht nur klassische Nationalist_innen oder Anhänger eines großen Türkischen Reiches, sondern auch eine Muslime für ihre faschistische Denkweise gewinnen konnte. Die wichtigsten Eckpfeiler der Ideologie der Grauen Wölfe sind der Pantürkismus (Errichtung eines Großtürkischen Reiches), der sogenannte idealistische Nationalismus (ausgeprägter Rassismus gegen allen nicht-türkischen Bevölkerungsteilen), der Antikommunismus (Spaltung und Zerschlagung der Arbeiter_innenbewegung) und das Führerprinzip (alles ist auf den Führer ausgerichtet, Gesellschaft, Wirtschaft und Partei sollen klar hierarchisch organisiert sein).

Die türkischen Faschisten, die Grauen Wölfe, sind durch die Gastarbeiter_innenmigration nach Deutschland, seit den 60er und 70er Jahren auch hier stark vertreten. Sie werden durch den Zugang zu türkischen Medien auch hier weiter beeinflusst. So kann man zum Teil unter einigen türkischen Jugendlichen, einen verstärkten türkischen Nationalismus zu beobachten. Dieser steht oft im Zusammenhang mit dieser rechten Bewegung. Historisch geht sie Zusammenarbeit der MHP mit deutschen Faschisten auf die „Türkisch-Deutsche-Waffenbrüderschaft“ im 1. Weltkrieg und auf die Zusammenarbeit während des 2. Weltkriegs zurück. Bis heute sind die Grauen Wölfe mit Kulturvereinen auch in Deutschland verankert.
Die Kritik der Grauen Wölfe an den Alevit_innen zeichnet sich besonders durch einen Antifeminismus aus. Zum Beispiel wird kritisiert, dass bei den Alevit_innen im Gegensatz zum Gebet in der Moschee, während des Cem keine Geschlechtertrennung herrscht, sowie alevitische Frauen im Gegensatz zu sunnitischen oder schiitischen Frauen keine Schleier tragen müssen. Außerdem spielten in den 60er und 70er Jahren viele Alevit_innen in linken Organisationen eine wichtige Rolle, da sie das Ende der historischen Unterdrückung gegen das Alevitentum in Konzepten wie dem Sozialismus sahen. Die Diskriminierung des Alevit_innen funktionierte zum einen über Abwertung in Kinder- und Schulbüchern und Hetzkampagnen, aber auch auf praktischer, physischer Ebene. In den 1990er Jahren gab es einige Pogrome an den Alevit_innen, eines der prägnantesten stellt Sivas dar. Am 2. Juli 1993 zündeten Islamisten vor den Augen türkischer Sichherheutskräfte ein Hotel in Sivas an. Der Ort wurde ausgewählt, da ein alevitisches Kulturfestival dort stattfand und sich dort viele alevitische Schriftsteller_innen, Journalist_innen und Dichter_innen trafen, um dem populären Dichter Pir Sultan Abdal zu huldigen. Bei diesem Attentat wurden 37 Menschen getötet und 150 Menschen zum Teil schwer verletzt. Ein weiterer dramatischer Fakt dabei ist, dass die türkische Staatsgewalt nicht unterstützend eingriff, sondern alles Geschehen lies [14].

  • Wir fordern mehr Aufklärung über türkische Rechtsradikale und ihre Strukturen in Deutschland
  • Keine Unterstützung von rechten Netzwerken durch die BRD, egal ob deutsche oder türkische Nationalist_innen!

 

Spezifischer Rassismus gegen Alevit_innen

Die Alevit_innen erfahren einen spezielle Form von Rassismus. Er findet auf drei unterschiedlichen Ebenen statt. Neben dem klassischen Rassismus, der uns in Deutschland, wie sunnitische Türken, Araber oder andere Gruppen trifft, ist das Alevitentum in Deutschland eine beinahe unbekannte Religionsgemeinschaft. So werden wir oft für Muslime gehalten und es kommen Fragen, während der islamischen Fastenzeit wie „Warum fastest du nicht“, oder Frauen werden gefragt warum sie kein Kopftuch tragen. Man ist in einer Art Rechtfertigungsdruck, welche religiöse Zugehörigkeit man hat. Weitergehend besteht das Vorurteil, dass das Alevitentum eine Sekte ist und viele unserer Mitglieder wurden auch schon öfter danach gefragt. Es gibt allgemein auch auf wissenschaftlicher Ebene kaum eine Auseinandersetzung mit unserer Religion, der Wissenstand ist sehr gering. Dies ist ein Missstand, den wir zutiefst bedauern.

  • Wir fordern, dass über das Alevitentum mehr im deutschen Ethik- und Religionsunterricht aufgeklärt wird. Wenn wir als Teil dieser Gesellschaft betrachtet werden, sollte man auch über unsere Existenz Bescheid wissen, ohne dass wir uns ständig erklären müssen.

 

Neben diesen falschen Informationen, die uns Alevit_innen wieder in den Vordergrund rücken, gegenüber anderen Migrant_innen, sind wir mit dem Rassismus aus der migrantischen Community konfrontiert. So haben wir nicht nur mit den deutschen Reaktionären, sondern auch mit den türkischen Rechten zu kämpfen. Auch 2017 gab es verschiedene Angriffe auf alevitische Gemeinden in Deutschland. Auch mit der gegenwärtigen Lage in der Türkei verschärft sich für uns Alevit_innen die Situation dort und in Deutschland. Die türkische Community wird auch von der Politik in der Türkei zum Teil beeinflusst, welche auch in den letzten Jahren einen starken Rechtsruck erfahren hat.

Leben zwischen zwei Welten

Wir alle haben uns bestimmt mal die Frage gestellt oder wurden gefragt, was wir als Heimat sehen oder ob wir eigentlich Deutsche, Türken, Kurden, etc. sind. Viele von uns beantworten diese Fragen wahrscheinlich damit, dass sie hier geboren und somit hier zuhause sind. Ist das jedoch wirklich so? Auch wenn wir uns selber hier zuhause fühlen, werden wir oft als „Ausländer“ bezeichnet und fühlen uns häufig nicht willkommen. Auch in der Türkei werden wir als „Almanci“, also Deutsche bezeichnet. Egal ob hier oder dort, wir werden nirgends als „Einheimische“ angesehen, obwohl wir uns zuhause fühlen. Aufgrund unserer Herkunft treten eigentlich völlig überflüssige Probleme auf, wie zum Beispiel beim Annehmen der deutschen Staatsbürgerschaft. Obwohl wir hier geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen sind, entkommen wir Problemen, wie langen Wartezeiten zum Aus- und Einbürgern oder Zahlungen für die Übersetzungen von Ausweisen nicht. Wir, als die zweite und dritte Generation der damaligen Gastarbeiter_innen sollten die Möglichkeit haben, zwei Pässe, nämlich den Deutschen und den Türkischen, anzunehmen beziehungsweise zu behalten und sollten nicht dazu gezwungen werden uns für einen zu entscheiden und uns somit von einem Wert zu trennen. Unsere Herkunft ist ein Teil unserer Persönlichkeit und sollte keine Option für uns sein. Deshalb fordern wir, die doppelte Staatsbürgerschaft annehmen zu können.

  • Wir fordern eine Beschleunigung der Verfahren, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen!
  • Wir fordern, dass es kein Problem sein sollte zwei Staatsangehörigkeiten zu haben, auch wenn die nicht deutsche keine europäische ist!

 

Integration vs. Inklusion

In der Debatte um Migration und wie Menschen Teil dieser Gesellschaft werden sollen, fällt oft der Begriff Integration. Dabei hat er ganz oft eine unterschiedliche Bedeutung und es werden unterschiedliche Sachen gemeint. Manche sind der Auffassung, dass sich Leute dann integriert haben, wenn sie sich assimiliert, also an gesellschaftliche und kulturelle Gegebenheiten vollständig angepasst haben. Woanders gilt Integration als dann erreicht, wenn Menschen den staatsbürgerlichen Pflichten nachkommen, die man in dieser Gesellschaft hat, also Steuern zahlen, arbeiten oder ähnliches. Wir halten dieses Konzept der Integration, egal wie es interpretiert wird, nicht für förderlich und plädieren für einen erweiterten Inklusionsbegriff. Inklusion wird oft als Begriff verwendet, um die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Handicap darzustellen. Wir wollen diesen Begriff um den Diversity-Faktor erweitern, also plädieren wir für einen Inklusionsbegriff, der gesellschaftliche Teilhabe und Gleichberechtigung für Menschen fordert, egal welches Geschlecht, Alter, sexuelle Orientierung, ethnische oder kulturelle Zugehörigkeit, Religion oder ein Handicap sie haben. Wir wollen, dass Menschen Selbstbestimmt und über einen solidarischen Umgang miteinander, auf allen Ebenen in dieser Gesellschaft teilhaben und partizipieren können [16].


Die Rolle des BDAJ als migrantischer Verband

Wir der BDAJ, vertreten die Interessen von uns jungen Alevit_innen in Deutschland.
Unsere Familien haben meist eine Migrationsgeschichte, aber wir sind hier geboren und leben hier. Wir vertreten also „deutsche Alevit_innen“. Wir sind Deutsche, auch wenn unsere Eltern zum Teil nicht in Aachen, sondern Ankara geboren sind.
Deutschland hat sich in seiner soziokulturellen Zusammensetzung in den letzten 50 Jahren stark verändert und wir sind Ausdruck dieser neuen, vorher genannten Aushandlungsprozesse.
Wir sind hier aber nicht fremd und wollen auch nicht zu Fremden gemacht werden. Wir wollen unsere Familienbiographischen Hintergründe selbstbewusst einbringen können, ohne Othering zu erleben [17]!

Othering:
Othering ist ein Wort aus der Postkolonialen Theorie und bedeutet wörtlich so etwas wie „verandern“ oder verändern. Damit ist gemeint, dass man aufgrund von rassistischer Stereotypen zu etwas oder jemand anderem gemacht wird, als man eigentlich ist. Man wird durch Othering zu etwas oder jemand Fremden, Anderen gemacht. Bei der Person, die Othering betreibt laufen Zuschreibungen ab, gleichzeitig erhebt sie sich über die Person die sie „verandert“. Im Beispiel von Racial Profiling passiert das Othering wenn man als migrantischer Jugendlicher automatisch von der Polizei als Krimineller Jugendlicher wahrgenommen wird.

 

Fußnoten

[1] https://www.deutschlandfunk.de/herrmann-csu-zur-fluechtlingspolitik-eine-situation-wie.694.de.html?dram:article_id=440826
[2] Infokästen sind nicht Teil des Antragstextes, sondern dienen nur der Erklärung eines Inhaltes, über sie muss also nicht abgestimmt werden.
[3]https://www.bundestag.de/parlament/aufgaben/rechtsgrundlagen/grundgesetz/gg_01/245122
[4] https://www.proasyl.de/news/integrationsgesetz-in-kraft-die-neuerungen-im-ueberblick/
[5] Susan Arndt (Hrsg.): Rassismus: Die 101 wichtigsten Fragen. C.H.Beck, München 2012, ISBN 978-3-406-67765-6
[6] https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/racial-profiling-geht-die-polizei-gegen-migranten-haerter-vor-15375526-p2.html
[7] https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-11/fall-oury-jalloh-ermittlungsverfahren-generalstaatsanwaltschaft-naumburg-feuerzeug-matratze
[8] https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-11/oury-jalloh-ermittlungserfahren-staatsanwaltschaft-beschwerde-abgewiesen
[9] Imke Schmincke, Jasmin Siri (Hrsg.): NSU-Terror: Ermittlungen am rechten Abgrund. Ereignis, Kontexte, Diskurse. Transcript, Bielefeld 2013, ISBN 978-3-8376-2394-9.
[10] https://www.tagesspiegel.de/politik/ermittlungen-467-rechtsextreme-in-deutschland-sind-untergetaucht/23717166.html
[11] http://www.taz.de/!5570484/
[12] Antidiskriminierungsstelle des Bundes (Hrsg.): Fair mieten – fair wohnen: Leitfaden für Mieterinnen und Mieter und Beratungsstellen. Silber Druck oHG, Niestetal 2015.
[13] http://www.bjr.de/service/beschluesse/details/fuer-ein-klima-der-menschenfreundlichkeit-2010.html
[14] Fikret Aslan, Kemal Bozay (Hrsg.): Graue Wölfe heulen wieder: Türkische Faschisten und ihre Vernetzung in Deutschland. Unrast-Verlag, Münster 2012, ISBN 978-3-89771-035-1
[15] https://www.bdaj-bayern.de/aktuelles/nachrichten/178-erneuter-angriffe-auf-eine-alevitische-gemeinde
[16] Arbeitshilfe Bezirks Jugendring Mittelfranken. Grenzenlos. Kinder- und Jugendarbeit praktisch inklusiv.
[17] María do Mar Castro Varela, Paul Mecheril (Hrsg.): Die Dämonisierung der Anderen. Rassismuskritik der Gegenwart. transcript, Bielefeld 2016, ISBN 978-3-8376-3638-3.